
12
»Die Schattenwelt ist eigentlich keine völlig andere Welt, sondern einfach nur eine Erweiterung dessen, was wir als Realität kennen. Sie hat viele Namen und ebenso viele Zugänge - vor allem die Feen fühlen sich dort wohl. Sie bezeichnen sie als Jenseits, was eigentlich auch eine recht gute Beschreibung ist. Sie ist ja auch jenseits. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Warum erzählst du mir das?«
Die Stimme, die das sagte, war tief, glatt wie Seide, und sie brachte mich zum Lächeln. Es dauerte eine Weile, bis sie durch die Verwirrung, die mich umfangen hielt, zu mir drang. Ganz langsam, nach und nach, kam ich wieder zu Bewusstsein. Ich zuckte zusammen, als ich feststellte, dass die erste Stimme, die gesprochen hatte, meine gewesen war.
Ich machte die Augen auf und sah ein Gesicht über mir. Eine Mischung aus Amüsement und Verlangen stand in den Augen. »Gabriel?«
»Du bist wieder bei Bewusstsein. Ich hatte schon Sorge, dass du eine Art Trauma zurückbehalten hättest.«
Sein Gesicht war so durchscheinend, dass mein Herz sank. »Wir sind in der Schattenwelt, nicht wahr?«
Jetzt blickte er mich nicht mehr amüsiert an. »Ja. Du warst bewusstlos. Was ist passiert?«
Bilder zuckten mir durch den Kopf, ein perfektes Haus, das ich so sehr begehrte, dass mir das Wasser im Munde zusammenlief. »Das Haus. Ich will das Haus. Agathos daimon, ich will das Haus. Dir würde es auch gefallen, Gabriel. Der Rasen ist wie grüner Satin, es gibt Bäume und Blumen und sogar ein kleines Labyrinth, in dem wir uns verstecken und uns im Freien lieben könnten. Wenn du nicht willst, brauchen wir ja nicht im See zu schwimmen. Aber das Labyrinth würde dir bestimmt gefallen.«
»Ja«, bestätigte er ernst. »Ein Labyrinth würde mir gefallen. Ich würde dich gerne draußen lieben, wenn die Sonne uns auf die Haut scheint. Ich würde mich mit dir unter dem Sternenhimmel lieben, wenn die kühle Nachtluft deine köstlichen kleinen Brüste liebkost, während du mich reitest und deine Hüften sich so bewegen, dass du mich wahnsinnig machst. Und wenn du beim Orgasmus in die Schatten gehst, dann weiß ich, dass du wirklich mein kleiner Nachtvogel bist, meine Wintiki.«
»Ich möchte dich jetzt lieben«, sagte ich. Meine Finger zuckten und am liebsten hätte ich ihn an mich gezogen. Ich musste seinen Mund auf meinem spüren, seinen Atem schmecken, wenn er in mich eindrang. Irgendwie war das Verlangen nach dem Haus mit dem Verlangen nach Gabriel verbunden, aber er war ja leider nur eine Projektion in der Schattenwelt und nicht wirklich da. »Ich möchte dich berühren, Gabriel. Ich möchte mich an deine Brust schmiegen, dich schmecken, deine schöne, warme Haut streicheln. Ich möchte dich in den Mund nehmen, wie wir besprochen haben, aber ich scheine dazu nicht in der Lage zu sein, denn in der Sekunde, in der ich dich berühre, bringst du mich völlig um den Verstand.«
Gabriel stöhnte und schloss einen Moment lang die Augen. Er kniete neben mir, die Hände zu Fäusten geballt. »Hast du eine Ahnung, was du mir antust? Ich bin nicht in deiner Nähe, May. Ich bin noch nicht einmal im selben Land, und doch bin ich hart und brenne nach deiner Hitze.«
Ich schwieg einen Moment. Mittlerweile war ich wieder völlig bei Verstand. »Wo bist du?«
»In Frankreich. Ich komme bald nach Hause. Schon bald werde ich in deinen Armen liegen.« Er streckte die Hand aus, als wolle er mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht streichen, aber dann ließ er den Arm wieder sinken.
»Fiat hat versucht, mich zu töten.«
Er war einen Moment lang so ruhig, dass ich dachte, er hätte mich nicht gehört.
»Für diesen Wahnsinn wird er sterben.«
Ich lächelte. Die Drohung in seiner Stimme wärmte mich. »Aber es ist ihm nicht gelungen.«
»Das habe ich mir gedacht. Fiat? Bist du sicher, Mayling?«
»Ziemlich.«
Er fluchte. »Wie ist er nur an uns vorbeigekommen? Wir haben sämtliche Transportmittel und alle Portal-Unternehmen beobachtet.«
»Ich habe keine Ahnung, aber er ist definitiv hier, und Kostya war nicht bei ihm.«
»Was ist passiert?«
Ich berichtete ihm kurz von den Ereignissen, die dazu geführt hatten, dass wir Fiat in der Bar begegnet waren. »Fiat ist mehr oder weniger auf mich losgegangen, und ich gebe es zwar nicht gern zu, aber er hätte beinahe Erfolg gehabt, wenn ich nicht gerettet worden wäre.«
Gabriel betrachtete mich besorgt. »Und wer hat dich gerettet?«
»Ich hätte nie geglaubt, dass ich es einmal aussprechen müsste, aber Magoth hat mich gerettet. Er hat Fiat mit einem Schürhaken in Form eines Pfaus - das passt irgendwie zu ihm, oder? - einen übergebraten. Gabriel, Fiat arbeitet nicht mit Kostya zusammen, sondern mit Baltic. Er ist hier. Das hier ist eigentlich sein Haus. Wie er Fiat dazu gebracht hat, uns zu kidnappen, weiß ich nicht.«
Gabriel erstarrte. »Wo ist dieses Haus?«
»Etwa zwei Stunden außerhalb von London.« Ich beschrieb ihm die Strecke, die wir von London aus gefahren waren. »Baltic sagte, er und Ysolde hätten das Haus entworfen. Er sagte, sie wollte hier die Akzeptanz-Zeremonie feiern.«
»An der Geschichte bin ich eigentlich nicht so sehr interessiert, sondern eher daran, warum Baltic es auf dich abgesehen hat«, erklärte Gabriel grimmig. Er blickte über seine Schulter. »Beweg dich nicht. Ich komme gleich zurück.«
Ich lachte, als ich mich umblickte. Obwohl ich mich in der Schattenwelt befand, wies sie genügend Ähnlichkeit zur realen Welt auf, dass ich genau wusste, wo ich war - tief unten im Haus, in einem schwach beleuchteten Raum mit Erdwänden, der offenbar als Kerker diente.
Ich sprang vom Tisch, auf dem ich gesessen hatte, und examinierte mein Gefängnis. An der gegenüberliegenden Wand befand sich eine kleine Tür. Es gab keine Fenster und eine nackte Glühbirne an der Decke spendete spärliches Licht. Zwar sieht es in der Schattenwelt manchmal düsterer aus als in der realen Welt, aber dieser Raum hier machte nicht den Eindruck. Es gab einen Tisch und drei Stühle, die jedoch allesamt kaputt in der Ecke lagen. Es roch muffig nach Erde, und in der Luft lag ein beißender Gestank, bei dem ich unwillkürlich die Nase rümpfte.
»Es ist Angst, Vögelchen«, sagte Gabriel hinter mir.
Ich fuhr herum. Er sah müde und deprimiert aus, und seine Augen wirkten stumpf. »Was ist Angst?«
»Was du riechst. Ich habe es sofort erkannt.«
»Iiih. Was ist los?«, fragte ich. Am liebsten hätte ich ihm den Kummer aus dem Gesicht gestreichelt.
Er warf mir einen Blick zu, der Bände sprach.
»Was soll schon los sein? Meine Gefährtin ist von einem anderen Wyvern entführt worden, mein Haus wurde zerstört, mehr als sechzig Drachen sind von einem Wyvern getötet worden, dem ich schon vor langer Zeit das Handwerk hätte legen müssen, und Chuan Ren führt sich ungewöhnlich schwierig auf.«
»Entschuldige, das war eine dumme Frage. Mach dir keine Sorgen um mich - ich bringe uns schon hier heraus. Und was Fiat angeht - für den bist du nicht verantwortlich, Gabriel. Er ist ein großer Junge, und er weiß, was er tut. Du brauchst dir nicht seine Schuld aufzuladen.«
Gabriel schwieg einen Moment lang. Unwillkürlich hob er die Hand, um meine Wange zu berühren. Ich fühlte jedoch nur einen ganz leichten Hauch. »Wenn ich sagen würde, es ist meine Aufgabe, dich zu retten, was würdest du mir erwidern?«
Ich küsste die Luft, wo seine Handflächen waren. »Ich würde sagen, du sollst nicht so albern sein und schnell nach Hause kommen, damit wir das Herz neu bilden und das Stück in mir ein für alle Mal loswerden können.«
»Ich habe den anderen Bescheid gesagt, dass Fiat uns entwischt ist«, antwortete er. »Tu nichts Überstürztes, Gefährtin.«
Ich lächelte. »Ich liebe dich auch.«
Vorsichtig glitt ich aus der Schattenwelt, aber ich hatte keinen Grund, mich zu verstecken.
»Mayling!«, sagte Cyrene erleichtert, als ich aus der dunkelsten Ecke auf sie zutrat. »Da bist du ja. Hast du einen Weg hinaus gefunden?«
Ich trat über zwei auf dem Boden liegende Gestalten. »Was um alles in der Welt ist hier passiert?«, fragte ich, ohne auf Cyrene zu achten.
»Dein Zwilling hat Fiat gesagt, dass Magoth ihn niedergeschlagen hat«, erklärte Jim, der auf Fiats Brustkorb saß. »Also sind die beiden aneinandergeraten, aber da Mags ja ein bisschen machtlos ist, haben Cy und ich beschlossen, als Fiat sich in einen Drachen verwandeln wollte, dass wir uns besser einmischen.«
Ich blickte auf die beiden bewusstlosen Männer. »Und dann habt ihr sie beide niedergeschlagen?«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Cyrene empört. »Für wen hältst du mich? Ich bin eine Najade und mit Körper und Seele dem Wohlergehen des Planeten ergeben! Ich will eine bessere Welt für die Sterblichen schaffen. Dass du auch nur auf den Gedanken kommen kannst, ich könnte so etwas Bösartiges und Gemeines getan haben, ist eine unglaubliche Unterstellung!«
Ich wartete. »Bist du fertig?«
»Noch nicht ganz.« Sie holte tief Luft. »Ich würde nie jemandem etwas zuleide tun. Niemals!«
Mein Schweigen war beredt.
»Ich bin gut«, erklärte sie würdevoll. »Ich bin nicht im Mindesten böse.«
»Ja, denn es ist kein bisschen böse, wenn man jemanden auf den Boden drückt, während ein Dämonenlord ihn zu Brei schlägt.« Jim kicherte.
»Jemandem die Arme festzuhalten, ist nicht dasselbe, wie jemanden auf den Boden zu drücken«, sagte Cyrene und warf dem Dämon einen finsteren Blick zu.
»Ja, ja. Ich kann schon verstehen, warum du mit Magoth gemeinsame Sache gemacht hast.«
»Oh!«, sagte Cyrene empört.
»Genug jetzt, ihr zwei! Hört auf!«
»Ich habe Fiat nicht auf den Boden gedrückt«, versicherte Cyrene mir. »Ich habe Magoth nur geholfen, besser an ihn heranzukommen.«
»Wie auch immer. Und weiter?«, sagte ich.
»Ach, deshalb bist du wohl auch die ganze Zeit herumgesprungen und hast geschrien ›Schlag ihn zu Brei, Magoth!‹, was?«, sagte Jim. Cyrene keuchte. »Lügen! Skandalöse Lügen! Das nimmst du sofort zurück.«
Jim zuckte mit den Schultern. »Okay, okay, mach dir nicht in die Hose. Ich nehme es ja zurück. Fiat war noch nicht ganz fertig. Er hatte noch genügend Kraft, um Magoth ein paar zu verpassen, bevor Cyrene ihm mit einer Katze das Licht ausgeblasen hat.«
Zu meiner Überraschung hielt Cyrene auf einmal eine neunschwänzige Katze in der Hand. »Das war reine Selbstverteidigung, und deshalb ist man noch lange nicht böse«, sagte sie und schwang die Peitsche hin und her. »Ich wusste, dass Fiat mich als Gefährtin beanspruchen würde, wenn er mit mir alleine wäre.«
Schweigend musterte ich meinen Zwilling. »Wieso betonst du ständig, wie gut du bist? Oh, Cy. Du steckst doch nicht schon wieder in Schwierigkeiten?«
»Nein«, sagte sie rasch, wich aber meinem Blick aus. »Nicht wirklich. Es ist nur, dass Neptun immer noch verärgert ist wegen der Sache mit meiner Quelle, und als er sie mir letzten Monat zurückgegeben hat, musste ich schwören, dass ich ein Jahr lang nichts tue, was einem Mitglied der Anderwelt oder einem Sterblichen schadet, weil er mir sonst die Quelle für immer wegnimmt. Und du weißt doch, dass ich das nicht riskieren darf.«
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte ich. Im Stillen dankte ich Neptun. Vielleicht konnte er ja meinen wilden Zwilling disziplinieren.
»Er ist wirklich richtig uneinsichtig, weißt du. Er mag ja aussehen wie ein blonder Surfer, aber er ist bei Weitem nicht so blöd, wie man meinen sollte. Und mich hat er ständig auf dem Kieker. Immer nörgelt er an mir herum.«
Ich ließ auch diesen Kommentar unbeantwortet. Stattdessen sagte ich: »Wir müssen hier heraus. Tür?«
»Verriegelt«, sagte Jim. Er erhob sich von Fiat und kam zu mir getrottet. »Sonst irgendwelche Ideen?«, fragte er und drückte den Kopf an meine Hand.
Ich blickte mich um. »Nicht wirklich. Cy, kannst du irgendetwas machen?«
»Den Raum fluten?«, fragte sie und blickte sich ebenfalls um.
»Dabei würden wir nur ertrinken.«
Sie blieb einen Moment still stehen und schloss die Augen, um sich der Erde zu öffnen. »Der Teich ist zu flach, und der Strom führt zu wenig Wasser. Gegen die Fundamente des Hauses könnte es nichts ausrichten. Und sonst gibt es in der Nähe keine Wasserquellen, die ich nutzen könnte.«
»Verdammt.« Ich blickte zu Jim. »Ich kenne Dämonenlords, die sich wie Dämonen durch den Raum bewegen können, aber ich weiß nicht, wie es geht. Hast du einen Hinweis?«
»Ja. Tu es nicht.«
»Warum nicht?«
Er schüttelte den Kopf. »Aisling hat es versucht und wurde geächtet. Ich glaube nicht, dass du so enden möchtest, weil Bael dadurch Kontrolle über dich bekäme, zumal du ja auch an Magoth gebunden bist.«
»Guter Punkt«, sagte ich. Dunkle Macht würde ich also nicht benutzen. »Was wir brauchen, ist ein Dämon, der den Stoff der Zeit für uns aufreißen kann, damit wir gehen können.«
»Wir haben doch einen Dämon«, sagte Cyrene und zeigte auf Jim.
»Ich kann es aber nicht«, antwortete er. »Ich würde ja gerne, aber ich kann es nicht. Ich muss den direkten Befehl von meinem Dämonenlord dazu bekommen. Von meinem echten Dämonenlord, nicht nur dem zeitweiligen Stellvertreter.«
»Verdammt«, sagte ich und dachte nach. »Wir könnten warten, bis Gabriel uns rettet, aber das könnte lange dauern.«
»Wir haben doch Magoth«, sagte Cyrene und stieß ihn mit der Schuhspitze an. Er stöhnte leise. »Ich gebe ihm doch nicht seine Macht, solange er in der Welt der Sterblichen ist«, sagte ich hastig.
»Nein, nicht alle Macht natürlich - nur die Fähigkeit, durch die Zeit zu reisen und so.«
Ich überlegte einen Moment lang und blickte Jim an. »Ist das möglich?«
»Vielleicht für jemanden, der mit der Macht vertraut ist, aber du?« Jim verzog das Gesicht. »Nein. Nicht machbar.«
»Was ist mit Jim?«, fragte Cyrene fröhlich.
»Ich habe dir doch gerade gesagt, dass ich ohne direkten Befehl...«
»Nein, nein«, unterbrach sie ihn und wandte sich mit sonnigem Lächeln an mich. »Wenn du ihm nun Magoths Macht gibst? Dann kann er uns den Stoff der Zeit aufreißen, und wir können entkommen.«
»Und Jim besäße die volle Macht eines Dämonenlords«, erwiderte ich.
»Ich stehe voll dahinter«, warf Jim ein.
»Nun, ich nicht. Cy - er ist ein Dämon. Ein Dämon!«
»Warum reden die Leute eigentlich immer über mich, als ob ich nicht anwesend wäre?«, beschwerte sich Jim.
»Aber ein guter Dämon«, sagte Cyrene.
Da hatte sie recht. Ich musterte Jim, der mich aus großen Augen flehend ansah, einen Moment lang. »Nein«, sagte ich dann. Es war einfach ein zu großes Risiko. »Ich kann es nicht.«
»Ach, du liebe Güte, dann gib mir eben die Macht«, sagte Cyrene.
»Dir? Ich denke, du musst das reinste Wesen sein, das jemals auf dieser Erde gelebt hat? Hast du nicht einen Schwur abgelegt, im nächsten Jahr nichts falsch zu machen? Neptun würde eine geächtete Najade wohl nicht besonders schätzen, oder?«
Sie boxte mich auf den Arm. »Ich bin ein Elementarwesen, du Dummchen. Wir können nicht geächtet werden.«
»Nein?« Das hatte ich ja noch nie gehört. »Seit wann das denn?«
»Immer schon. Was meinst du, wie ich sonst die Leibeigenschaft bei Magoth überlebt habe? Die meisten Wesen sterben daran, aber Elementarwesen nicht. Wir sind besonders resistent gegen dunkle Macht. Das weiß doch jeder.«
»Ich wusste es nicht«, sagte ich langsam. Kurz wünschte ich mir, auch Doppelgänger wären Elementarwesen.
»Na ja, jetzt weißt du es ja. Und lass Neptun aus dem Spiel - wenn ich die Macht benutze, um uns hier herauszuholen, dann ist das gut, nicht böse. Dagegen kann er nichts haben.«
»Nein, das stimmt, aber wenn du nun aus Versehen die Macht zu etwas anderem verwendest?«
Sie richtete sich auf und warf mir einen Blick zu, der mich beinahe einschüchterte. »Ich bin über tausend Jahre alt, Mayling. Ich glaube, ich kann mit ein bisschen Dämonenmacht schon umgehen.«
Davon war ich zwar nicht überzeugt, aber nach einigem Hin und Her gab ich nach, zumal wir keine andere Option hatten. Zögernd begann ich, die Macht auf sie zu übertragen.
»Das ist ja praktisch«, sagte Cyrene aufgeregt, als Jim ihr erklärte, wie sie den Stoff der Zeit richtig aufreißen musste. »Dass ich früher noch nie darauf gekommen bin! Ich brauche nie mehr zu fliegen, Mayling! Kein langes Anstehen an Portalen mehr. Keine Züge, keine Autos, keine Schiffe. Ein kleiner Riss und ein Schubs und voilà! Sofort-Transport.«
Während sie redete, wedelte sie mit den Händen und riss kleine Stückchen aus der Realität.
»He, du musst dich auf deinen Weg konzentrieren«, mahnte Jim sie. »Wenn du dich nicht konzentrierst, endest du noch in Timbuktu. Mann! Du hast mir fast das Ohr abgerissen!«
»Entschuldigung. Ich konzentriere mich.« Sie presste die Lippen zusammen und konzentrierte sich auf ihr Ziel. »Jetzt reißen?« »Ja.« Jim trat einen Schritt zurück neben mich. »Du weißt, dass du einen Preis dafür bezahlen musst, oder?«
»Was soll das heißen, einen Preis?«, fragte sie. Die Augen hatte sie fest zugekniffen, damit sie auch den richtigen Zeitfaden ergriff, der uns dorthin brachte, wo wir hinwollten.
»Dunkle Macht ist nicht umsonst. Wenn du sie benutzt, musst du bezahlen.«
»Ich bin ein Elementar...«
»Ja, ja, du kannst nicht geächtet werden, aber einen Preis musst du trotzdem bezahlen.«
Sie öffnete ein Auge und fragte: »Was denn für einen Preis? Es ist doch nichts Gefährliches, oder?«
Mir zog sich der Magen zusammen. Hatte ich gerade vielleicht etwas Dummes getan? Der Dämon zuckte mit den Schultern. »Das weißt du erst, wenn du sie benutzt hast.«
»Ich bin ein Elementarwesen.« Cyrene schüttelte den Kopf und konzentrierte sich wieder auf die richtigen Fäden. »Mir kann dunkle Macht nichts tun.«
»Berühmte letzte Worte, was?«, sagte Jim fünf Minuten später, als er Magoths Füße losließ. Ich hievte seinen Oberkörper auf mein Bett in Aislings gelbem Schlafzimmer. Er grunzte hörbar, als ich ihn losließ.
»Und ich dachte, Fiat wäre schwer«, grummelte ich und rieb mir den Rücken. Fiat lag immer noch bewusstlos über dem Sessel neben dem Bett. Ich vergewisserte mich, dass beide Männer noch bewusstlos waren, bevor ich mich meinem Zwilling zuwandte.
Cyrene starrte entsetzt auf ihr Spiegelbild in dem kleinen Spiegel neben der Tür. Langsam hob sie eine Hand und berührte ihre Haare. »Sie sind ... weiß. Ich bin ...«
»Schwarz«, sagte Jim, der sie beobachtete.
Mit erstarrtem Gesichtsausdruck wandte sie sich mir zu. »Meine Augen ...«
»Orange«, erwiderte ich und versuchte, mich an das neue Aussehen meines Zwillings zu gewöhnen. »Du hast einfach deine Farben verändert, Cy. Alle Farben haben sich ins Gegenteil verkehrt. Deine Haut ist jetzt sehr dunkelbraun, deine Haare sind weiß, und deine strahlend blauen Augen sind orange. Es sieht interessant aus.«
»So kann man es auch sagen«, warf Jim ein und legte den Kopf schräg. »Du siehst aus wie ein Negativfofo deiner selbst. Witzig!«
Sie blinzelte mich mit ihren unheimlichen Augen an und trat dann an die Tür, immer noch in Schock erstarrt. »Ich brauche Wasser. Viel Wasser. Ich gehe in Drakes Pool.«
»Hoffentlich bekommt Aisling dort nicht gerade das Baby«, sagte ich, als sie weg war.
Jim lauschte. »Man hört niemanden schreien. Außerdem wollte sie in die große Badewanne gehen, aber dann hat sie sich letztlich für eine Art großen Stuhl mit einem Loch in der Mitte entschieden.«
»Geburtsstühle sind sehr verbreitet, glaube ich. Ich gehe jetzt besser zu Drake und sage ihm, dass er einen Gast hat.«
»Ja. Und ich mache mich auf zu Ash und sage ihr, dass wir wieder da sind. Sie macht sich ständig Sorgen, und im Moment ist das wahrscheinlich nicht gut für sie.«
Ich wuschelte dem Dämon über den Kopf und folgte ihm in die Eingangshalle. »Immer wenn ich gerade denke, wie nervig du doch bist, zeigst du auf einmal, was für ein weiches Herz du hast.«
»Ich liebe dich auch, Baby«, sagte er und rieb seinen Kopf an meinem Bein.